„Rohdiamanten“ erkennen, „Luftpumpen“ aussortieren – 11 goldene Regeln für Ihre Bewerberbeurteilung (Teil 1)

Nein, nein und nochmals nein – Die Probezeit ist nicht dazu da, um rauszufinden, ob man zueinander passt. Sie ist zur Einarbeitung und Befähigung da und eine Trennung in der Probezeit sollte immer als „Ultima Ratio“ angesehen werden. Das Auswahlverfahren und die Bewerbergespräche sind dazu da zu klären, ob man zueinander passt. In vielen Fällen findet die Kandidatenbeurteilung in wenigen Gesprächsterminen (à 60 Minuten) und unter Termindruck statt. Eigentlich viel zu wenig Zeit, um die Kandidaten wirklich kennen zu lernen. Doch Zeit ist nur ein Faktor und es gibt weitere Zusammenhänge, die beachtet werden müssen, wenn Sie Urteilsfehler in diesem schwierigen Entscheidungsprozess zwischen Logik und Bauchgefühl minimieren wollen. Gänzlich vermeiden wird man das nie können.

Halten Sie sich vor Augen, dass Fehlbesetzungen bei Führungskräften im Falle einer Trennung Folgekosten von 150% des Bruttojahreseinkommens verursachen können. Die schlimmsten Fehlbesetzungen sind allerdings diejenigen, die gar nicht entlassen werden, sondern sich über Jahre im Unternehmen festsetzen und ungestört ihr Unwesen treiben können, unzählige Mitarbeiter demotivieren, Kunden und Lieferanten vergraulen und Weiterentwicklungen verhindern.

Doch wie werden Urteile und Entscheidungen, in unserem Falle Entscheidungen über Bewerber, in der Praxis gefällt? Sicherlich nicht anders als andere Entscheidungen, die Menschen in ihrem privaten und beruflichen Alltag fällen, nämlich zu einem großen Teil emotional affektiv, persönlich interessengeleitet oder sie entspringen stereotypen Präferenzen, die durch soziale Erwünschtheit und kollektive Deutungsmuster vordefiniert werden. Das heißt nicht, dass immer falsche Entscheidungen gefällt werden, sondern nur, dass in vielen Fällen der Ausgangspunkt im Entscheidungsverhalten aus einem irrationalen oder sachlogisch nicht relevanten Affekt besteht. Rationalität kommt lediglich in Form instrumentell argumentativer Figuren (modern Narrative genannt) ins Spiel, weil eigentlich irrationalen Entscheidungen und Präferenzen natürlich nach Außen plausible und logisch begründet werden müssen.

Eindrucksvoll veranschaulicht eine neuere psychologische Studie, welches Maß an Irrationalität und Beliebigkeit als unbewusste Wirkgröße im menschlichen Entscheidungsverhalten vorhanden ist: Ein Forscherteam um Shai Danziger von der israelischen Ben Gurion Universität und Jonathan Levav von der New Yorker Columbia University (veröffentlicht in PNAS, online) untersuchten versteckte Einflussgrößen bei Justizentscheidungen. Die Wirtschaftspsychologen gingen in einer Untersuchung des Entscheidungsverhalten von 8 israelischen Richtern der Frage nach, von welchen Faktoren es abhängt, ob die Strafe von Verurteilten zur Bewährung ausgesetzt wird. Und raten Sie einmal was der aussagekräftigste Prädiktor des Entscheidungsverhaltens der Richter war? Jedenfalls keine juristisch sachlogischen Gründe wie z.B. die Aussichten auf eine erfolgreiche Resozialisierung. Halten Sie sich bitte fest – die Tatsache wie lange die letzte Essenpause der Richter bei ihrer Entscheidung zurücklag war der entscheidende Faktor. Je leerer der Magen oder je länger die Richter über den Tag keine Pause gemacht hatten, desto weniger bereit waren sie, Strafen auf Bewährung auszusetzen. In einem durch rechtliche Rahmenbedingungen und Gesetze vorstrukturierten Deutungs- und professionellen Entscheidungszusammenhang, geht es also so interessengeleitet zu wie in der Markthalle, so emotional wie im Puff oder so beliebig wie bei der Lotterie (s.u. Anm. 1). Das professionelle System verschleiert und kaschiert die vorliegende sachlogische Beliebigkeit für Außenstehende natürlich vollkommen.

Mit Rationalität, einer distanzierter Tatsachfeststellung und differenziertem Urteilsverhalten hat das alles wenig zu tun. Und sie wissen es ja: bei Personalauswahlverfahren läuft es in vielen Fällen keinen Deut besser. Wie oft haben Sie sich schon die Frage gestellt: Wie konnte dieser „Schwachkopf“ oder diese „Mega-Zicke“ diesen Job bekommen? Wo kommen Sie denn her, die abgezockten und inkompetenten „Industrieschauspieler“, die Unternehmen an die Wand fahren, keinen Flugplatz bauen können und keine funktionierenden Klimaanlagen in hochmodernen Zügen zustande bringen. Irgendjemand hat sie eingestellt und sie wechselten immer wieder auf eine immer noch höhere Position bei anderen Unternehmen. Wie kann man also Fehlurteile in der Personalauswahl minimieren? Welche Möglichkeiten haben wir, die irrationalen psychologischen, sozialen und hormonellen Störvariablen wenigsten ansatzweise in den Griff zu bekommen?

Nehmen wir an, die erste Phase Ihres Projektes ist gelungen. Sie haben ein sehr gut definiertes Anforderungsprofil erstellt und der Bewerbereingang Ihrer Personalsuche diesbezüglich ist sehr gut. Jetzt geht es darum, den richtigen Kandidaten auszuwählen. Hierzu haben Sie ein multimodales Auswahlverfahren entwickelt, das sich schon in anderen Besetzungen sehr gut bewährt hat. Unabhängig von Struktur, Inhalt und Methoden Ihres Auswahlprozesses und unabhängig davon, ob Sie zusätzlich eignungsdiagnostische Verfahren einsetzen, Referenzen einholen oder Ihre Informationen über den jeweiligen Bewerber durch weitere Maßnahmen optimieren, sollten Sie nie vergessen, dass das wichtigste Messinstrument im Auswahlprozess Sie selbst sind. Beurteilen heißt Abwägen und deswegen sollten Sie bestrebt sein, sich als „Waage“ immer wieder einmal selbst zu „kalibrieren“. Folgende 11 Prinzipien helfen Ihnen dabei, den Informationsfluss in Ihrem Bewertungsprozess zu kontrollieren und sich selbst als Beurteilungsinstanz zu reflektieren:

  1. Antennen raus – alle Kontaktinformationen nutzen
  2. Cool down – Lassen Sie sich von Halo-Effekt nicht mitreißen
  3. Rationalität, Bauchgefühl und Kopfkino – ja was denn jetzt?
  4. Cui bono? Interessen und Rollen hinterfragen
  5. Stereotypen vermeiden
  6. Biografische Analyse – verstehen, urteilen, weiterdenken
  7. Team-Passung oder Team-Ergänzung?
  8. Eignung und Veränderung – die Dynamik von Titel und Stelle
  9. Lebensplan und soziales Umfeld – Was sagt denn ihre Frau dazu?
  10. Nicht an ihren Worten, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen
  11. Eignungsdiagnostik als zusätzliche Informationsquelle nutzen
©Dr. Romano Grohmann

Im Teil 1) der „11 goldenen Regeln für Ihre Bewerberbeurteilung“ finden Sie nähere Erläuterungen und Handlungsanweisungen für die Punkte 1 bis 3 (siehe Download unten). Viel Spaß beim Lesen.

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